Wenn eines meiner beiden Enkelkinder (13 und acht Jahre) ein Auto zeichnet, dann ist das Ergebnis stets konservativer Natur. Kein Crossover, kein SUV, kein Sportback. Nein, ein simples Stufenheckauto. So wie die Autos früher ausgesehen haben, als es noch keine Designer gab, die sich heute – die Welt erklärend – für prägender halten als die Techniker. Zurück zur (guten) alten Zeit. Damals waren die meisten Autos nicht aufregend, nicht emotional. Sie waren praktisch und übersichtlich. Damals hielt sich auch der Verkehrsstrom noch in Grenzen, und so konnte man ohne elektronische Fahrhilfen ganz ungestresst die Fahrspuren wechseln. Ein Blick genügte, das Auto war ja übersichtlich.

Und heute? Die Zeiten haben sich geändert. Und damit auch die Autos; ihre Technik, ihr Design. Das ist gut so. Wenn Form und Funktion in Einklang gebracht werden mit dem Sinn des Autos. Für die meisten ist es nach wie vor ein Mittel zum Zweck; nämlich jederzeit, möglichst bequem und sparsam von A nach B zu kommen. Eben unabhängig zu sein. Für viele ist es aber nach wie vor ein Statussymbol; nämlich sich abzuheben von anderen - zu zeigen: Ich bin wer.

Heute, da sich allerdings die Technik immer weiter annähert, da noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehaltene Kooperationen fremde Bauteile in die eigene Vita integriert werden (zum Beispiel französische PSA-Motoren in Mini und BMW oder Renault-Triebwerke für die Mercedes A-Klasse), wird es auch für Butter-und Brot-Autos immer wichtiger, sich vom technisch ähnlichen Konkurrenten oder gar baugleichen Modell (zum Beispiel die neuen Modelle Hyundai i30 und Kia cee’d) zu unterscheiden.

Das haben die Koreaner erkannt  und gehandelt. Der BMW-Designer Thomas Bürkle, der dort unter dem Amerikaner Chris Bangle für die neue umstrittene Formensprache sorgte, kam 2005 zu Hyundai. Ein Jahr später wechselte Peter Schreyer vom VW-Konzern, wo er den Audi TT und den A2 gestaltete, zur Hyundai-Schwester Kia. Seit dieser Zeit haben sie beide Marken im wahrsten Sinne des Wortes umgekrempelt, ihnen jeweils ein unverwechselbares Gesicht, quasi jene Corporate Identity gegeben, die den Hyundai-Konzern zum ernsthaften Kokurrenten von Volkswagen und Co macht.

Nun hat jedes Ding immer zwei Seiten. Und ob der neuen Macht der deutschen Designer scheint die koreanische Durchsicht etwas auf der Strecke geblieben zu sein, weil sich die Techniker permanent im Abwehrkampf befinden: Form gegen Funktion.

Wer die Vorgänger kennt und sich in die Neuen setzt, wird zunächst staunen angesichts der neuen (teuren) Pracht und Herrlichkeit im Innenraum – und nach dem Platznehmen auf dem Fahrersitz unangenehm überrascht ein: Das Auto ist ja richtig unübersichtlich! Die schrägen A-Säulen vermindern die Sicht beim Abbiegen sowie beim Blick auf die Ampel, zudem lässt sich nicht abschätzen, wo das Auto vorn endet. Die ansteigende Gürtellinie, die es in den Reden der Designer so dynamisch aussehen lässt, als wolle es im Stand schon die 200er Marke knacken, verschlechtert beim Einparken den Durchblick nach schräg hinten. Ein- und Ausparken, Rangieren, Spurwechsel? Keine Freude mit diesen Schönheiten. Kein Wunder, dass teure Rückfahrkameras, akustische Einparksensoren, Spurwechselassistenten und, und, und die Renner bei der Wahl in den Aufpreislisten sind – und die Autos weiter verteuern.

Doch nicht nur bei den Koreaner scheint der rechte Durchblick auf der Strecke zu bleiben, König Kunde nicht nur ein attraktives, sondern auch ein übersichtliches Auto anzubieten, das selbst im Großstadtgewühl keinen Angstschweiß als Nebenwirkung produziert. Bei Mercedes, wo der US-Amerikaner Gordon Wagener Chefdesigner ist, wurde die neue B-Klasse auf dynamisch getrimmt. Mit schrägen A-Säulen und schlechterem Einstieg gegenüber dem Vorgänger. Das Heckfenster mutiert zu einer Schießscharten-Luke. Der Neue soll viel sportlicher wirken als der Alte. Wohlgemerkt, wir sprechen hier von einem Familienvan und von normalen Kompaktwagen, nicht von verkappten Sportwagen! Und dass sich die B-Klasse, das Modell bei Mercedes mit dem höchsten Durchschnittsalter der Kunden (58 Plus!) dadurch von heute auf morgen in ein jugendliches Lifestyleobjekt verwandelt, das jeder will, ist mehr als optimistisch.

Man könnte sich noch bei vielen anderen Herstellern umschauen, wo nach dem Einheitsmotto schicker, dynamischer, emotionaler die Designer neue Modelle gegen die Ingenieure durchsetzen, die immer unübersichtlicher werden und nur mit einer Armada von teuren Fahrassistenzsystemen schrammenlos durch den hektischen Alltag gebracht werden. Ist das im Sinne des Kunden, der sich langsam fürchten muss, mit diesen Schönheiten in enge und schlecht beleuchtete Parkhäuser fahren zu müssen, weil in vielen Innenstädten normale Parkplätze so rar geworden sind wie übersichtliche Autos? 

Übrigens: Meine Enkelkinder weigern sich hartnäckig, Crossover vom Schlage eines BMW X6 zu zeichnen: In diesen Eisenschweinen sieht man doch nichts! 

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