… Freude gebe es nur in der Ferne

Die Iran-Anreicherung in der politischen Diskussion von Washington über Paris, London, Berlin bis nach Moskau und Peking um einen der größten Erdöllieferanten der Welt sowie die neue Bedeutung des Urans für Bukarest, Sofia und Stockholm werfen Fragen auf: Gefährdet ein arabischer Satellit in der Erdumlaufbahn tatsächlich unsere Sicherheit? Sichert andererseits die auch hierzulande wieder diskutierte Notwendigkeit der Uran-Anreicherung und eine längere Laufzeit von Atomkraftwerken wirklich die Unabhängigkeit von iranischem Öl, russischem Gas und dem Zwang, sich willkürlichem Liefergebaren pseudoliberaler Systeme zu unterwerfen?

Wenn Städtereisen heute für Beträge weit unter den Kosten des Restaurant-Besuches einer Familie den umfassenden Genuss weit entfernter Kulturen samt Besuch der dortigen Museen versprechen, wenn Busreisen quer durch Europa und sogar interkontinentale Flugreisen für zweistellige Sümmchen zu schnappen sind, spielen die Energiepreise eine unmittelbare Rolle. Berlin-Brüssel für 29 Euro, das ist nun mal ein Preis, der weit unter dem Wert der angebotenen Leistung liegt. Für 29 Euro kann man diese Strecke normalerweise nicht einmal laufen. Fliegen erst recht nicht.

Eine Kreuzfahrt über Tausende Kilometer durchs westliche Mittelmeer auf der niegelnagelneuen MS Splendida – mit MSC-Cruises München für unter 700 Euro bei luxuriöser Logis und voller Verpflegung zu buchen – deckt für den Veranstalter die Kosten nur dann, wenn Öl und Gas, ja, mehr noch, Energie insgesamt, so billig ist, dass niemand über ihren Preis nachdenken muss. So billig ist sie allerdings nie gewesen. Sie kostete immer und zuallermindest den Verbrauch von Ressourcen, menschlichen wie solchen der Erde, die nicht beliebig zu vermehren sind. Weitere Kosten für ungezählte dienstbare Geister sind nötig, die zumindest so bezahlt werden müssen, dass die Menschen ihr Leben und das ihrer Familien erhalten können. Für Material, für dessen Produktion wiederum Menschen Energie aufwenden und dem Aufwand entsprechend bezahlt werden wollen.

Geiz ist da nicht geil, sondern asozial.

Ein Bewusstsein für die Zusammenhänge ist nicht nur von der ökonomischen, der philosophischen und der praktischen politischen Ebene gesehen wichtig: Denn auf Dauer Leistungen zu „kaufen“, die man nicht zu bezahlen gedenkt, scheinbar nicht zu bezahlen braucht oder für die man gerade mal so wenig hinblättert, dass man damit die eigene Gier, nicht aber die aufgewandte Anstrengung befriedigt, ist langfristig Betrug. Betrug im weitesten Sinn an uns selbst. Ja, an uns, die wir für Leistung, Risiko, Einsatzbereitschaft und für die Arbeit eingesetzte Erfahrung doch auch zumindest so bezahlt werden wollen, dass wir damit unsere Familien unterhalten können.

Es ist wirklich fatal: Unsere Gesellschaft findet es schick, einen Mercedes zu fahren, für den man den Preis eines alten Käfers bezahlt. Das genau rächt sich. Es kehrt sich um gegen uns selbst, die wir in der Folge den Preis eines Käfers zahlen müssen und nicht einmal den mehr werden unterhalten können. Eine Spirale wird in Gang gesetzt, an deren unterem Ende der Betrug breiter Massen an breiten Massen als Mundraub der Habenichtse gegenüber den Habewenigs und jener der Habewenigs gegenüber den Möchtegerns und jener der Möchtegerns gegenüber den Habeetwas dasteht … und so weiter und so heiter.

Wirklich heiter bleibt in diesem Spiel allerdings leider niemand zurück – und Investitionen, etwa solche in die Zukunft, werden schlechterdings schwer möglich. Unmöglich wird damit zugleich die planbare und angstfreie Zukunft selbst, dieses ungewisse Etwas, das uns in der Rezession von Auguren des Bösen, Unheilsverkündern, so düster dargestellt wird, dass wir uns darin kaum noch wohlfühlen dürften, sollte es sich denn als so düster erweisen.
Ich gebe zu, das ist keine positive Sicht des Betrugs. Es ist aber auch keine verblendete. Es ist eine Gedankenkette, die wir ins Positive wenden sollten. Vielleicht fangen wir damit an, indem wir nicht jedem entfernten, sondern zur Abwechslung einmal dem nahen Glück die Arme öffnen: Indem wir zur Bundesgartenschau nach Schwerin statt zur Blumeninsel Madeira im Atlantik streben, zum Beispiel. Tapetenwechsel bei Wellness und Sport, ganz ohne den Verbrauch von hektoliterweise Kerosin für die Flugmaschine nach Woodstock, ist auch in Wittstock möglich.

Der große, etwa der Atomstreit, verliert fast automatisch in dem Maße an Gewicht, in dem die Vernunft eines jeden Einzelnen sich dem Vermögen anpasst, die bestellte und gewollte Leistung sowie die Energie, die dafür aufgewendet wird, auch zu bezahlen: sach- und aufwandsgerecht. Denn Energie ist heute fast alles, ohne Energie ist fast alles nichts. Die Iran- wie auch die Uran-Anreicherung in den politischen Diskussionen werden durch diese Erkenntnis an sich zwar nicht gelöst. Womöglich aber auf eine der Sache gerechtere Ebene gehievt. Schon das wäre ein Beitrag zum Energiesparen.

Denken Sie doch mal daran, wenn Sie Ihren nächsten Flug buchen.

Herzlichst

Ihr
Norbert Gisder

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